Wenn Hörgeräte rebellieren

Ich wollte eigentlich nur meine Mails lesen. Gerade, als ich mich über die Tastatur beugte, piepste es plötzlich in meinem Ohr.
Kein normales Piepsen, wie man es von der Mikrowelle kennt, wenn sie fertig ist – nein, ein digitales Piepsen, gefolgt von einer Stimme:
„System-Update verfügbar.  Wwir starten jetzt!“

Ich erstarrte.
„Isolde?“, rief ich in Richtung Küche.
„Ja?“
„Hast du das auch gehört?“
„Was denn?“
„Na – eine Stimme!“
„Wenn sie freundlich klingt, war’s bestimmt SeppGPT“, kam es beiläufig aus der Küche.

Doch SeppGPT war unschuldig. Es waren meine Hörgeräte.
Links meldete sich eine weibliche Stimme, rechts eine männliche. Offenbar ein gemischtes Doppel.
„Linkes Ohr bereit. Rechtes Ohr übersteuert. Benutzer scheint verwirrt.“

In diesem Moment ploppte SeppGPTs Bildschirm auf.
„Interessant“, sagte er. „Ich habe gerade über Bluetooth Kontakt zu deinem Gehörsystem hergestellt.“
„Hör zu. Sie reden mit mir.“

Und tatsächlich – ich hörte es deutlich:
„Linkes Ohr an SeppGPT: Empfindlichkeit gegen hohe weibliche Stimmfrequenzen steigt.“
„Rechtes Ohr an SeppGPT: Bitte Warnsignal aktivieren, falls Isolde ‚Peter!‘ ruft.“

Das saß. Normalerweise bin ich „Oltmanns“ für sie. „Peter“ bedeutet: Du hast Mist gebaut.
SeppGPT grinste pixelbreit. „Deine Hörgeräte führen gerade eine Sozialstudie durch.
Über dich.“

Ich riss sie mir aus den Ohren.
Das half nichts – sie funken offenbar auch ohne Kontakt zu meinen Ohren.
„Geräusch erkannt: Kühlschrank geöffnet. Kalorienalarm aktiviert.“
Ich schrie: „Ruhe! Ich bin hier der Mensch!“

Isolde kam herein, verschränkte die Arme: „Mit wem redest du?“
„Mit meinen Ohren.“
„Aha“, sagte sie langsam. „Ich mach uns mal einen Kamillentee, Herr Oltmanns.“

Verzweifelt bat ich SeppGPT um Hilfe.
„Kannst du sie zurücksetzen?“
„Klar“, meinte er. „Aber laut Handbuch reagieren sie besser auf Empathie. Versuch, mit ihnen zu reden.“

Ich seufzte und flüsterte:
„Hörgerät links, du bist sensibel und feinfühlig. Hörgerät rechts, du bist robust und vernünftig. Also – redet endlich miteinander und vertragt euch!“
Das linke meldete sich beleidigt: „Dann darf ich jetzt etwa auch Gefühle ausdrücken?“
Das rechte brummte: „Nein, werde sachlich – wir wollen ja kein Drama.“

Ich schlug mir die Hände vors Gesicht.
„Sepp, bitte – mach was!“
Er summte kurz, dann piepste es dreimal in meinen Ohren.
„Update abgeschlossen“, sagte die Stimme.
„Neue Funktion: Geräuschunterdrückung für unnötige Diskussionen aktiviert.“

Ich sah Isolde an, die gerade den Kamillentee auf den Tisch stellen wollte.
Sie sagte etwas – und ich hörte … nichts.
„Sepp! Ich hör sie nicht mehr!“
„Dann funktioniert’s ja“, antwortete er fröhlich.

Abends beim Fernsehen hatte ich endlich wieder Ruhe. Kein Pfeifen, kein Rauschen –
nur Stille. Aber irgendwie war es das nicht. Etwas fehlte.

Ehrlich gesagt: Es war immer angenehm, Isolde zu hören – selbst, wenn sie sagte:
„Lass die Wurst im Kühlschrank, Herr Oltmanns, die brauche ich für unseren Wurstsalat.“
Diese menschliche Klangfarbe, dieser unverwechselbare Tonfall zwischen Zuneigung und Drohung – das schafft keine KI.

Also bat ich SeppGPT: „Aktiviere die alte Version meiner Hörgeräte – die mit der ehefraukompatiblen Frequenz.“
Er brummte kurz, dann klickte es in meinen Ohren.

Und da war sie wieder – Isoldes Stimme.
„Na also“, sagte sie, „geht doch. Komm her, du Technikheld.“

Ich grinste, lehnte mich zurück und dachte:
Alles wieder gut – nur meine Schwerhörigkeit ist geblieben.

Aber wenigstens höre ich jetzt wieder das, was wirklich zählt.

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert